Rezensionen zu: Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien Zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München 1999.
Kurz, Gerhard: Heidrun Ehrke-Rotermund - Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München: Wilhelm Fink Verlag, 1999, in: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 30, 2. Halbjahr 1999, S. 115-116.
Braun, Michael:  Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur "Verdeckten Schreibweise" im ´Dritten Reich`. München: Wihelm Fink Verlag, 1999, 626 Seiten, geb., 148,00 DM, in: Literatur in Wissenschaft und Unterricht XXXIII, 2000, H. 3, S. 299-300. 
Braun, Michael: Gegenwelten, in: Neue Zürcher Zeitung (Internationale Ausgabe) 221, Nr. 276, 25./26.11.2000, S. 36 (Hinweise auf Bücher).
Karolak, Czeslaw: Heidrun Ehrke-Rotermund, Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur "Verdeckten Schreibweise" im ´Dritten Reich`. Wihelm Fink Verlag, München 1999, 626 S., in: Orbis Linguarum. Legnickie Rozprawy Filologiczne, Bd. 15, Wroclaw 2000, S. 225-227.
Gradwohl-Schlacher, Karin: Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund, Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich", München (Fink) 1999, 626 S., in: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft XXXI, 2000, 2. Halbband, Wien 2000, S. 368-371.
Delabar, Walter: Heidrun Ehrke-Rotermund, Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München: Fink 1999. 626 S., in: Jahrbuch für Internationale Germanistik XXXIII, 2001, H. 1,  S. 224-229. [Auszug]
Horch, Hans Otto: Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund, Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München: Fink, 1999, flex., 626 S., in: Aschkenas 11, 2001, H. 1, S. 310f.
Winckler, Lutz: Rekonstruktionen der zeitgenössischen Wahrnehmung. Texte und Kommentare zur nichtfaschistischen Literatur im Dritten Reich , in: literaturkritik.de, Nr. 2, 3. Jg. (Februar 2001). [Auch in der Druckfassung der Internet-Zeitschrift literaturkritik.de, Marburg a.d. Lahn 2000 (ISSN 1437-9309), S. 66f.]
Winckler, Lutz: Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur "Verdeckten Schreibweise" im ´Dritten Reich`. W. Fink Verlag, München 1999, in: Études Germaniques 56, Juillet-Septembre 2001, Nr. 3, S. 409-411.).
Holzner, Johann: „Zwischenreiche und Gegenwelten", in: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands 18, Februar 2002, Nr. 4, S. 62.
Schütz, Erhard: [Sammelrezension], in: Zeitschrift für Germanistik XII, 2002, H. 1, S. 177f. [Auszug]

G. K. (= Gerhard Kurz): Heidrun Ehrke-Rotermund - Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München: Wilhelm Fink Verlag, 1999, in: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 30, 2. Halbjahr 1999, S. 115-116.

Diese Untersuchung mit einem treffend gewählten Titel stellt ein veritables, vorzügliches Handbuch zur Literatur der Inneren Emigration dar - auch wenn man den einen oder anderen Autor vermißt. Es wird der Forschung neue Impulse geben und es eignet sich sehr gut für die Behandlung im Unterricht.

Ein systematisches Einleitungskapitel behandelt "Poetik, Rhetorik und Hermeneutik der ´verdeckten` Schreibweise". Für das Analysemodell werden die Konversationsprinzipien von Grice (und v. Polenz) herangezogen. Wie die exemplarischen Analysen (an Sachtexten) zeigen, ist dieser Ansatz sehr fruchtbar. Auf die damit verbundenen Probleme - Zuordnung der Konversationsprinzipien zu Redefiguren, Übertragbarkeit auf die Lyrik - wird hingewiesen (S. 23). Wer´verdeckt` im "Dritten Reich" schreiben wollte, mußte sich anpassen. (Ein aufschlußreiches Dokument für diese Zwangslage wird S. 14, Anm. 31 zitiert: "Gewinne ich mehr Vorteile für einen kommenden Umsturz der Nazis durch das, was ich gegen sie tue, als ich der Erhaltung des Systems durch meine Mitarbeit damit Vorschub leiste?")

Das von Grice gewonnene methodische Arsenal müßte freilich erweitert und modifiziert werden - worauf die Autoren selbst hinweisen. Die Technik der Anspielung oder des Zitats (wichtig z.B. in Reck-Malleczewens "Bockelson") läßt sich etwa mit den Prinzipien von Grice nur schwer fassen. Dafür benötigt man eine Rekonstruktion des NS-Diskurses (Führer, Volksgemeinschaft, Rasse, Technik, Krieg usw.), dessen Elemente dann im Text besetzt oder nicht besetzt werden. (An dieser Stelle wird das Relevanz-Prinzip wieder wichtig.)

Im Hauptteil werden mehr oder weniger bekannte Texte oder Textauszüge vorgestellt, gefolgt von ausführlichen Erläuterungen zum Verhalten des Autors im "Dritten Reich", zur Entstehungsgeschichte, zur Publikations- und Verbreitungsgeschichte und zur Rezeption im "Dritten Reich" (Angaben von und Zitate aus Rezensionen, amtlichen Gutachten, Leserzeugnisse usw.). Zusammengestellt wird eine Fülle von Material. Da (fast) alles auf die Rezeption im "gespaltenen Bewußtsein" (Schäfer) ankam, ist dieses methodische Vorgehen sehr einleuchtend. Werke, die als oppositionelle intendiert waren, konnten affirmativ gelesen werden; Werke, die nicht oppositionell (das muß noch nicht affirmativ heißen) intendiert waren, konnten eine oppositionelle Kraft entfalten. Beispiele für dieses Potential wären die Werke Carossas (Seine "Geheimnisse des reifen Lebens" können auch affirmativ gelesen werden! Die Haltung Carossas wird im übrigen sehr differenziert dargestellt.) oder Kleppers "Der Vater".

Die Auswahl will die "weltanschaulich-politische Vielfalt der getarnten Literatur und Publizistik exemplarisch verdeutlichen: neben christlichen Dichtern beider Konfessionen stehen liberale und "linksbürgerliche" Autoren, aber auch solche, die [...] am herrschenden Regirne positive, auf Mäßigung zielende Teilkritik geübt haben" (S. 12). Die Reihe der Autoren umfaßt Pechel, Küsel, Haushofer, Wiechert, Penzoldt, Sternberger, Carossa, Barth, Bergengruen, Schneider, E. und F.G. Jünger, Kasack, Linfert, Günther, Andres, Gerth, Kuckhoff, Finck, Reck-Malleczewen, Nebel, Benn, Krauss.

Einer der vielen Vorzüge des Bandes liegt darin, daß die Autoren vorsichtig und zurückhaltend argumentieren und auf das Desiderat einer fehlenden Textkritik von Werken der Literarischen Inneren Emigration hinweisen. Auch weisen sie darauf hin, daß die Aussagen nach 1945 oft unzuverlässig sind. So ist m.E. Mißtrauen gegenüber den Äußerungen Bergengruens nach 1945 sehr angebracht, ebenfalls gegenüber Dokumenten wie dem Brief Kunischs an Bergengruen von 1962 (S. 269, Anm. l4). Bei solchen Aussagen ist der Streit um Thomas Mann, um die Legitimität des Exils oder der Inneren Emigration stets zu bedenken. - Für diese Forschungsleistung kann man nur danken!

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Michael Braun: Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München: Wilhelm Fink Verlag, 1999, 626 Seiten, geb., 148,00 DM, in: Literatur in Wissenschaft und Unterricht XXXIII, 2000, H. 3, S. 299-300. 

Die Texte der literarischen und publizistischen ´Inneren Emigration` sind immer schon kontrovers diskutiert worden, angefangen von der Debatte, die Thomas Mann und Walter von Molo 1945 um die Rolle der Autoren intra et extra muros austrugen. Der Streit hat auch die Forschung gespalten. Ging es den einen um eine - oft glorifizierende - Apologetik des in den Texten mehr oder minder versteckten Widerstandspotentials, so beriefen sich andere auf partielle ideologische Übereinstimmungen der ´Inneren Emigranten` mit dem Nationalsozialismus und kamen auf diese Weise zu einer polemischen Pauschalabwertung. Erst in den neunziger Jahren entstanden fundierte Untersuchungen der sozialhistorischen und politischen Kontexte, die auch die konkreten Zensurzwänge und Distributionsformen der Literatur in der Diktatur in den Blick nahmen (Martin Broszat, Jan Peter Barbian). Es wurde stärker beachtet, daß die "Zwischenreichautoren" auf einem schmalen Grat zwischen Anpassung und Widerstand schrieben und differenzierte Formen der verdeckten Schreibweise entwickelten. Insofern wäre es zu einfach, alle Texte unter der Kategorie der Widerstandsliteratur zu subsumieren; diese Autoren wollten - wie es Peter Suhrkamp 1949 programmatisch formulierte - "Trost bieten, Verhaltensweisen mitteilen, auf die innere Person sammeln, die Gegenwärtigkeit von Vergangenem lebendig zeigen, den wirklichen Verhältnissen die überzeitliche Wirklichkeit entgegenstellen".

Es ist daher nur zu begrüßen, wenn nun ein Buch erschienen ist, das erstmals in umfassender Weise "eine systematische und historisch-chronologische Aufarbeitung" der poetischen und journalistischen Camouflage-Techniken (11) leistet. Die Mainzer Literaturwissenschaftler Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund haben auf der Grundlage langjähriger akribischer Forschungen einen ausgezeichneten Überblick über bekannte und weniger bekannte Texte der ´Inneren Emigration` erarbeitet. Der Aufbau des Bandes folgt dabei einer stringenten Linie. Jeder der 24 Texte wird auszugsweise abgedruckt und sodann mit biographischen Angaben zu den Autoren, mit entstehungs- und rezeptionsgeschichtlichen Daten kommentiert. Dramatische Texte wie Albrecht Haushofers römische Trilogie Scipio (1934), Sulla (1938) und Augustus (1939), die als Allegorie auf die zerstörerischen Folgen politischer Revolutionen gelesen werden konnten, kommen ebenso zur Geltung wie die Lyrik - etwa Hans Carossas Abendländische Elegie, ein 1943 im Wissen um den "selbstverschuldeten Untergang der europäischen Kulturwelt" (238) geschriebenes Antikriegsgedicht -, und wie erzählerische, essayistische, homiletische Texte von Stefan Andres und Ernst Wiechert, von Dolf Sternberger und Carl Linfert und von Karl Barth.

Die Studien belegen M. Broszats These von der "Herrschaftsbegrenzung" der oppositionellen Literatur im Isolierraum nicht-nationalsozialistischer Wertetraditionen, und sie veranschaulichen sehr gut, daß die Texte dissidenter Autoren im "Dritten Reich" keine Randrolle spielten, sondern von ihren Lesern und von den nationalsozialistischen Prüfinstanzen "sehr ernstgenommen" (14) wurden. Ein instruktives Beispiel bietet der Fall Rudolf Pechels, des langjährigen Herausgebers der Deutschen Rundschau, die neben der Frankfurter Zeitung eine der Plattformen der publizistisch-literarischen Opposition war. Pechel publizierte in der Deutschen Rundschau im September 1937 den Aufsatz "Sibirien", der als Buchrezension getarnt war, kritischen Lesern jedoch mit dem Hinweis auf die Wiederholbarkeit der Geschichte und mit gängigen Schlagworten suggerierte, daß es nicht nur um Sibirien und den sowjetischen "Terrorapparat" ging. In der Reichskanzlei wurde Pechels allegorische Verschlüsselungstechnik entdeckt, der Autor mußte sich den Vorwurf, einer "der schlimmsten ´Heimtücker`"` (38) zu sein, gefallen lassen, blieb aber juristisch unbelangbar, bis er im April 1942 verhaftet wurde.

Ebenso aufschlußreich ist die Camouflagetechnik des Artikels, den Herbert Küsel am 23.3.1943 in der Frankfurter Zeitung zum 75. Geburtstag von Dietrich Eckart, dem Hauptschriftleiter des Völkischen Beobachters und Verfasser des Sturm-Liedes mit dem berüchtigten Refrain "Deutschland, erwache!", schrieb. Der Artikel, der Hitler fünf Wochen später veranlaßte, die Frankfurter Zeitung zu verbieten, ist nur vordergründig eine Hommage, spart aber hintergründig die Werke völkischer Dichtung aus, zitiert ausschließlich negative Kritiken und würdigt Eckart letztlich nicht als "Künder und Kämpfer", sondern als "kleinbürgerlichen Bohemien und Projektemacher" (43). Die insgeheime Leistung der Camouflage ist in diesem Falle die satirische Entlarvung eines Dichtermythos.

Erwin Rotermunds und Heidrun Ehrke-Rotermunds Fallstudien verdeckter Schreibhaltungen sind in schlüssiger und kritischer Form gehalten; besonders ausführlich wird die "Verschiedenverstehbarkeit" von Ernst Jüngers Auf den Marmor-Klippen (1939) anhand von Selbstaussagen des Autors und von nationalsozialistischen wie ausländischen Rezeptionszeugnissen untersucht. Verständlich ist die Zurückhaltung, die bei der Interpretation der einzelnen Texte geübt wird, geht es den Verfassern doch mehr um Sammlung und Systematisierung als um Analyse und Ausdeutung. Von besonderem Wert ist das einführende Kapitel über "Poetik, Rhetorik und Hermeneutik der ´verdeckten Schreibweise`". Hier entwerfen Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund zwei überzeugende Modelle verdeckter Schreibtechniken, die sich an der klassischen Rhetorik und der modernen Kommunikationsforschung (H. Paul Grice) orientieren. In dem ersten Modell werden Textveränderungstechniken (adiectio, detractio, transmutatio, immutatio), im zweiten Verstöße gegen Kommunikationsprinzipien (Quantität, Qualität, Relevanz, Modalität) unterschieden, die es erlauben zu untersuchen, wie aus einem Klartext eine getarnte nonkonforme Aussage wird.

Damit entwirft der Band erstmals Grundzüge einer Typologie der literarischen ´Inneren Emigration`. Er faßt die bisherige Forschung bündig zusammen und öffnet zugleich neue Perspektiven auf die ´alten` Texte. Selbst wenn der flüssige Stil der Darstellung gelegentlich durch die Vielzahl der eingebauten Quellenangaben ins Stocken kommt, so ist doch die lexikalische Detailgenauigkeit der Darstellung von hohem Wert. Mit diesem vorzüglichen Arbeits-, Lese- und Handbuch zur literarischen ´Inneren Emigration` ist Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund gelungen, was sich Werner Bergengruen 1947 wünschte: profunde Materialien und wegweisende Vorstudien zu einer "´unterirdischen Literaturgeschichte des Dritten Reiches`" (15) zu liefern.

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M. B. (=Michael Braun): Gegenwelten, in: Neue Zürcher Zeitung (Internationale Ausgabe) 221, Nr. 276, 25./26.11.2000, S. 36 (Hinweise auf Bücher).

Die literarische «innere Emigration» stand lange Zeit im Schatten der Exilforschung, belastet durch die «grosse Kontroverse», die 1945 zwischen Thomas Mann, Walter von Molo und Frank Thiess um die Rolle der im Lande gebliebenen Autoren zwischen Anpassung und Widerstand geführt wurde. Heidrun Ehrke-Rotermunds und Erwin Rotermunds Studien plädieren für eine kritisch-differenzierte Neubewertung der literarisch-publizistischen Opposition im «Dritten Reich», die mit dem hilfreichen Stichwort der «verdeckten Schreibweise» (Dolf Sternberger) erfasst wird. Wie es, um nur die wichtigsten Autoren zu nennen, Stefan Andres, Hans Carossa, Carl Linfert, Reinhold Schneider und Ernst Wiechert gelang, mit dramatischen, erzählerischen, lyrischen und essayistischen Texten in der NS-Diktatur - bei Vermeidung offizieller Sanktionen - wenigstens auf indirekte Weise kritisch zu Wort zu kommen und auf dem Boden der Literatur «Zwischenreiche und Gegenwelten» zu errichten, wird in 24 Fallstudien ebenso eingehend wie erhellend untersucht. Besonders aufschlussreich ist die in- und ausländische Rezeption von Ernst Jüngers «Auf den Marmorklippen» (1939): Viele Leser konnten offenbar die systemkritischen Partien der Erzählung besser entschlüsseln, als es der Autor wahrhaben wollte. Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund haben so ein sehr empfehlenswertes, ein materialreiches und anregendes Arbeits-, Lese- und Handbuch zur nonkonformen Literatur im «Dritten Reich» geschrieben.

Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur «Verdeckten Schreibweise» im «Dritten Reich». Wilhelm-Fink-Verlag, München 1999. 626 S., kart., Fr. 136.30

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Czeslaw Karolak: Heidrun Ehrke-Rotermund, Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur "Verdeckten Schreibweise" im ´Dritten Reich`. Wihelm Fink Verlag, München 1999, 626 S., in: Orbis Linguarum. Legnickie Rozprawy Filologiczne, Bd. 15, Wroclaw 2000, S. 225-227.

Die Situation von Literatur und literarischer Publizistik in totalitären Systemen, betrachtet aus der Perspektive der Folgen staatlicher Lenkung und Kontrolle und deren Institutionen, war und ist Gegenstand verschiedener Einzeluntersuchungen, die beispielsweise den Problembereich der Zensur und ihrer Auswirkungen betreffen.

Wenig bzw. weniger systematisch wurde diese Frage aus der Subjekt-Perspektive der Literatur erforscht, insbesondere aus der Perspektive jener Literatur im ´Dritten Reich', die sich als oppositionell verstand. Das betrifft ganz besonders das Problem der von den Schriftstellern und Publizisten angewandten Strategien und Methoden zur Sicherung und Nutzung des Kommunikationsspielraumes, die - gemessen nicht nur an den repressiven Konsequenzen solcher Versuche - für diese Literatur existentiell wichtig waren, deren Erforschung aber auch für den literaturgeschichtlichen Stellenwert der Literatur der 'Inneren Emigration' und ihre Rezeption von wesentlicher Bedeutung sein kann.

Um so begrüßenswerter ist die von Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund vorgelegte Arbeit Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur 'Verdeckten Schreibweise' im ´Dritten Reich'. Das Buch befaßt sich mit einem Thema, das in den Forschungsarbeiten der beiden Autoren bereits seit mehreren Jahren eine wesentliche Rolle spielt: Es ist jener (größere) Teil der nonkonformen Literatur und Journalistik im ´Dritten Reich', der keine direkte Einwirkung auf die Leser anstrebte, sondern durch Vermittlung humanistischer Ideen und Ermutigung zur Selbstbehauptung im totalitären Staat darum bemüht war, Anleitungen zum geistigen Überstehen des Regimes zu geben. Die unterschiedliche Gewichtung und ein unterschiedliches "Mischungsverhältnis" dieses strategischen "Fernzieles" einerseits und der in diesem Zusammenhang als Mittel zu bewertenden Konzessionen der Schriftsteller und Publizisten an das Regime andererseits haben zu unterschiedlichen Bewertungen des Phänomens der 'Inneren Emigration' und des literarischen und publizistischen Widerstands im ´Dritten Reich' geführt. In Anbetracht dieser auch heute noch diskutierten Fragen (M. Philipp, 1994; F. Denk, 19952, H. Ehrke-Rotermund, 1998) erscheint eine systematische, historisch-chronologische Analyse der von den Schriftstellern und Publizisten angewandten Mittel - zum Beispiel der Mittel und Erscheinungsformen der literarischen und journalistischen Camouflage - als notwendig. Sie wäre ein wesentlicher Beitrag zu einer Neubewertung dieses kontroversen Phänomens. Die vorgelegte Studie bietet dafür äußerst wichtige und interessante Materialien und Vorarbeiten.

Der erste Teil des Buches behandelt poetologisch-rhetorische und hermeneutische Grundfragen der zu untersuchenden Texte, die für eine Theorie der "Verdeckten Schreibweise" konstitutiv sind. Eine derart typologisch orientierte Analyse der rhetorischen Ebene der nonkonformistischen bzw. oppositionellen Literatur im ´Dritten Reich' spielt in dieser Studie - auch über die analysierten Texte hinaus - eine paradigmatische Rolle; damit werden nämlich Grundlagen für eine theoretisch fundierte Auswertung der Intentionen dieser Literatur geschaffen - einer Literatur, die von dem Anliegen der Autoren geprägt war, mit bestimmten Lesergruppen einen systemkonträr relevanten Kommunikationsprozeß zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, und diese Relevanz zugleich gegenüber systemkonformen Lesern und den kulturpolitischen Institutionen "mit einer Maske" konformer oder neutraler Aussagen zu "bedecken". Auf eine eindrucksvolle, spannende und faszinierende Art und Weise zeigt die Studie, wie die Schriftsteller und Publizisten im 'Dritten Reich' zur Verwirklichung dieses Anliegens systemkonträr intendierte Aussagen mit konformen und neutralen Elementen kombiniert haben.

Aus der Perspektive der Änderungskategorien der klassischen Rhetorik stellen die Autoren der Studie die Realisierungsvarianten der einzelnen Kategorien analytisch dar und weisen zugleich auf deren Stellenwert in der Kommunikation zwischen Autor und Leser unter den damaligen Bedingungen hin. Die Kategorien der Hinzufügung, Weglassung, Umstellung und Substitution werden in bezug auf ihre "verdeckungstechnische" Funktion im Zusammenhang mit den von den Schriftstellern und Publizisten im ´Dritten Reich' verwendeten stilistischen Mitteln untersucht. Dabei wird auch auf die adressaten- und situationsspezifischen Bedingungen und Erwartungen analytisch eingegangen, vor allem auf die "Psychologie des damaligen Lesers" (Bergengruen), die Fragen der Signalfunktion bestimmter Gestaltungsmittel (L. Strauss), zugleich aber auch auf die pragmalinguistischen Konversationsprinzipien im Hinblick auf ihre Relevanz für die Autor-Leser-Kommunikation unter den Bedingungen, unter denen der Einsatz von Mitteln und Techniken der ´Verdeckten Schreibweise` erfolgen mußte.

Im weiteren Teil der Einführung werden Beispiele vorgestellt, die einen Rekurs auf die dargestellten Konversationsprinzipien, die Änderungskategorien und die Figuren der Rhetorik als aufschlußreich erscheinen lassen. Dies bezieht sich unter anderem auf das Quantitäts- und Relevanzprinzip in den Texten von Herbert Küsel, Alexander Lernet-Holenia sowie andere dargestellte (von Schriftstellern und Publizisten "bewußt verletzte") Gesprächsprinzipien und deren Funktion in den Texten von Emil Barth, Fritz Eckardt, Carl Linfert und in den Gedichten von Rudolf Alexander Schröder. Hinweise auf rhetorische Änderungskategorien und die ihnen entsprechenden Redefiguren sowie auf die Frage der Gesprächsprinzipien in lyrischen Texten markieren einen offenen Problembereich dieser typologisierenden Analyse und sind als eine wertvolle Anregung zu weiteren Untersuchungen in diesem Bereich zu betrachten.

Der erste Teil der Studie enthält auch zwei Analysen, in denen die theoretischen Erkenntnisse an ausgewählten Texten veranschaulicht werden. Es ist der Aufsatz von Rudolf Pechel "Sibirien" (aus dem Jahr 1937) und Herbert Küsels "Dietrich-Eckart"-Artikel vom 23. März 1943. Diese Analysen stehen inhaltlich und methodologisch in einer exemplarischen Relation zu den Kommentaren im zweiten Teil des Buches.

Der zweite Teil des Buches stellt eine Textsammlung mit ausführlichen Erläuterungen dar. Dieser Teil dokumentiert eine Vielfalt - im weltanschaulichen und politischen Sinne - der literarischen und publizistischen Texte in "Verdeckter Schreibweise". Es sind Texte von Autoren, die ihren Kritizismus gegenüber dem NS-Regime aus christlichen, "linksbürgerlichen" und konservativen (der "Konservativen Revolution" nahestehenden) Positionen heraus zum Ausdruck bringen. Ein imponierendes, bisher in keiner vergleichbaren Studie derart systematisch dargestelltes Spektrum formal-stilistischer Mittel der "Verdeckten Schreibweise" ist hier dokumentiert worden. Ihm entspricht eine ebenso beachtliche Bandbreite einzelner Textarten und -sorten als Vertreter einzelner literarischer Gattungen, aber auch verschiedener Prosazweckformen und publizistischer Texte.

Die Kommentare zu den Texten enthalten detaillierte biographische Angaben und stellen eine Diskussion der historisch dokumentierten Beziehungen der Schriftsteller und Publizisten zum NS-Regime und zum politischen Widerstand dar. Sie beinhalten darüber hinaus Daten und Fakten zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte der einzelnen Texte - wobei hier aus historisch verständlichen Gründen die Materiallage nicht immer günstig war - sowie (Selbst-)Aussagen der Schriftsteller und Publizisten aus der Zeit vor und nach 1945 zu den Texten und ihren Intentionen; zum Teil werden auch Bezüge zu anderen Texten und Autoren verdeutlicht. Ferner enthalten die Kommentare Material zur Rezeptionsgeschichte der einzelnen Texte: Rezensionen in der Presse, Gutachten von NS-Lenkungsstellen (es sind Materialien, die bisher nur selten bei derartigen Untersuchungen herangezogen wurden).

Die Textsammlung zeichnet sich durch sowohl thematisch als auch methodologisch übersichtliche Struktur aus. Sie konzentriert sich um vier für das (Selbst-)Verständnis der Literatur der ´Inneren Emigration` wesentliche Problembereiche. Es sind: (Problembereich I: "Gewalt geht vor Recht") Verteidigung von Gerechtigkeit, Maß und Humanität - mit Texten von Albrecht Haushofer, Ernst Wiechert, Wolfgang Drews, Ernst Penzoldt, Dolf Sternberger und Hans Carossa, (II: "Widerstehen allein durch reine Geistesmacht") Berufung auf Heilsgeschichte und übergreifende Naturordnung – mit Texten von Karl Barth, Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, Ernst Jünger und Hermann Kasack, (III: "Die Pflicht zum Denken") Plädoyer für kritische Kunst und Reflexion - Carl Linfert, Joachim Günther, Stefan Andres, Hans Gerth und Adam Kuckhoff, (IV: "Histrionengeschmeiß spreizt sich auf hohem Kothurn") Satirische Entlarvung des Regimes - mit Texten von Friedrich Georg Jünger, Werner Finck, Fritz Reck-Malleczewen, Gerhard Nebel, Gottfried Benn und Werner Krauss.

Der größte Wert dieser Studie liegt darin, daß das in ihr gesammelte und systematisch analysierte Material Typologisierungen der Rezeption von Werken in "Verdeckter Schreibweise" ermöglicht. Der literaturdidaktische Aspekt dieses Materials ist ebenfalls wesentlich: Dadurch wird nämlich die Voraussetzung einer Neuformulierung, praktischer Anwendung und einer historisch adäquaten Diskussion der These geschaffen, daß die Literatur der ´Inneren Emigration` einen wesentlichen Anteil an der "Herrschaftsbegrenzung" des NS-Regimes hatte, obwohl es insgesamt schwierig ist, wie die Autoren der Studie betonen, "die herrschaftseindämmende Wirkung gegen die systemstabilisierende Funktion" dieser Literatur "aufzurechnen".

Das Buch von Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund ist sowohl im Sinne des gesammelten Materials als auch unter methodologischen Aspekten eine faszinierende Studie. Sie stellt einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der Literatur der ´Inneren Emigration` dar und ist eine wertvolle Anregung zu weiteren Untersuchungen in diesem Problembereich.

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Karin Gradwohl-Schlacher: Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund, Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich", München (Fink) 1999, 626 S., in: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft XXXI, 2000, 2. Halbband, Wien 2000, S. 368-371.

Mit der umfangreichen Studie ´Zwischenreiche und Gegenwelten` zieht das Ehepaar Rotermund Resümee aus seiner langjährigen Beschäftigung mit der Thematik1 und legt gleichzeitig ein Grundlagenwerk zum Phänomen der Verdeckten Schreibweise vor. Ausgewählte Texte von 24 nicht systemkonformen deutschen Autoren und Journalisten der NS-Zeit werden einer Analyse unterzogen und in Hinblick auf ihre Wirkung auf ein ebenfalls nicht systemkonformes Adressatenpotential untersucht. Dass dies in derartiger Ausführlichkeit erst mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende geschieht, hängt mit der Problematik des Gegenstandsbereiches zusammen: Verdeckte nonkonformistische Äußerungen von AutorInnen im Dritten Reich werden dem Terminus Innere Emigration zugeordnet. Im Unterschied zu ExilautorInnen appellierten Innere EmigrantInnen nicht an den Widerstandsgeist ihrer Rezipienten, sondern versuchten ´zwischen den Zeilen` eine Anleitung zum geistig-moralischen Überleben im totalitären Staat zu geben. Wie Gisela Berglund nachweist,2 war mit Innerer Emigration ursprünglich eine Haltung des Widerstandes gemeint. Der Begriff veränderte sich in Richtung Verweigerung, Verstummen, d. h. Innere Emigration entfernte sich von der ursprünglichen Zugehörigkeit zum Komplex Widerstand. Vor allem die Diskussion unmittelbar nach Kriegsende zwischen dem "äußeren" Emigranten Thomas Mann3 und dem sich als Wortführer der Inneren Emigration gebärdenden Frank Thiess trug viel zur Demontage des Begriffes bei.4 Seine These, die Exilanten hätten das Land aus eigennützigen Gründen verlassen, während er und andere "Deutschland die Treue gehalten" hatten,5 fand unter den dagebliebenen AutorInnen breite Zustimmung; für Walter A. Berendsohn stand hinter der Begriffsbildung die Absicht, "die Emigranten herabzusetzen, sich selbst als die besseren Deutschen über sie zu erheben".6 Die heftig geführte Kontroverse verstärkte die Kluft zwischen Emigranten und "Dagebliebenen" und verhinderte für lange Zeit sowohl eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema Innere Emigration als auch eine Reintegration der ExilautorInnen in den Kanon deutschsprachiger Literatur. Bis heute ist der Begriff Innere Emigration ein eher schwammiger geblieben, ohne klare Abgrenzungen, Definitionen, Zuweisungen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der wissenschaftliche Diskurs vor allem auf ästhetisch-textanalytische sowie auf begriffsgeschichtliche Studien rekurriert.7 Im Mittelpunkt stehen literarische Werke, die, meist isoliert von ihrer institutionellen funktionalen Einbettung, in Hinblick auf textimmanente Merkmale des Gegenstandsbereiches untersucht werden. Innere Emigration wird u. a. mit den Begriffen Verdeckte Schreibweise, (historische) Camouflage und Sklavensprache charakterisiert. Sie machen jedoch nur dann einen Sinn, wenn sie als Verhaltensweisen auf die äußeren Bedingungen des Schreibens, die Einbindung von AutorInnen in das offizielle literarische System des Nationalsozialismus gesehen werden. Gerade in einem diktatorischen Regime ist diese Dimension von großer Bedeutung, da Literatur und deren VerfasserInnen in höchstem Maße institutionalisiert wurden. Die Reaktionsformen bzw. die Texte der AutorInnen können "nur vor der Folie der Kenntnis des kulturellen und politischen Gesamtzusammenhangs beschrieben und gedeutet werden".8 Erst in jüngster Zeit haben sich Ansätze einer differenzierten sozialhistorischen Fragestellung herausgebildet, welche die Reaktionsform Innere Emigration in den Gesamtkomplex Nationalsozialismus einbindet.9

Heidrun und Erwin Rotermund analysieren die Texte im Licht der "[s]pezifische[n] Kommunikationsbedingungen"10 des NS-Regimes; dem Umfeld der Texte wie auch den zeithistorischen bzw. individuellen Lebens- und Publikationsvoraussetzungen der Autoren wird breiter Raum gegeben. Ausgehend von Bertolt Brechts ´Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit` (1935/1949) erläutern Rotermunds zunächst allgemeine poetologisch-rhetorische sowie hermeneutische Grundfragen im Zusammenhang mit Verdeckter Schreibweise. Auf Basis der vier Änderungskategorien der klassischen Rhetorik entwerfen sie anschließend ein allgemeines Beschreibungsmodell für getarnte, subversive Texte. Aus einem "oppositionellen Klartext" entsteht der offiziell genehmigte, nicht systemkonforme Text: "1. durch Hinzufügung eines affirmativen Elementes (bzw. affirmativer Elemente) oder 2. durch Wegnahme eines oppositionellen Elementes oder 3. durch Umstellung oppositioneller Elemente oder 4. durch Substitution eines affirmativen oder neutralen Elementes" (17). Tarnung des Subtextes durch Absicherung der scheinbaren Lesart des Textes kennzeichnet die Methode der Verdeckten Schreibweise. Um die Hürde der Zensur zu überwinden, musste die primäre Lesart der Texte ns-konform sein. Allen Texten gemeinsam ist deshalb eine Doppelstrategie, die auf Täuschung der NS-Institutionen abzielte. Vielfältige Kontroll- und Lenkungsinstanzen bestimmten das literarische Leben; jede Publikation von Texten erforderte zumindest die formale Akzeptanz des Systems. Eine gewisse Unterwerfung war bereits durch das Aufnahmeverfahren in die Reichsschrifttumskammer gegeben, da ansonsten jede Publikationstätigkeit unmöglich gewesen wäre. Alle VertreterInnen der Inneren Emigration, die in ihren offiziell publizierten Texten der Verdeckten Schreibweise huldigten, mussten also diese Hürde geschafft haben, um literarisch überhaupt in Erscheinung treten zu können. Aber: Bestimmten Personengruppen war eine Entscheidung für und wider Innere Emigration generell versagt. Jüdische sowie politisch missliebige SchriftstellerInnen konnten in der Mehrzahl bestenfalls im Exil bzw. im Untergrund überleben. Hatten die auf den ersten Blick systemkonformen Texte die Zensurinstanzen passiert, war eine zweite Lesart möglich, die ein anderes Bezugsfeld eröffnete. Insofern konnten gewisse Texte durchaus eine oppositionelle Haltung der Adressaten unterstützen. Da die Systemkritik sehr geschickt "verpackt" werden musste, eröffnete dies, je nach Erwartungshaltung des Rezipienten, verschiedene Zugriffsmöglichkeiten. Nur ein kleiner elitärer Kreis war in der Lage, die Texte im Sinne der Autorenintention zu "dechiffrieren". Dass einem Großteil der Leserschaft dieser Zugang fehlte, liegt in der Natur der Sache.

Veranschaulicht wird die Anwendung des theoretischen Ansatzes anhand von zwei exemplarischen Analysen, Tarnung und Absicherung in Rudolf Pechels Aufsatz "Sibirien" (25-39) und Herbert Küsels "Dietrich Eckart"-Artikel vom 23. März 1943 (40-55). Dass das NS-Regime gegen als doppeldeutig erkannte Texte rigoros vorging, belegt Herbert Küsels Artikel aus der ´Frankfurter Zeitung`. Er lieferte den Anlass, den Autor zu verhaften und die Zeitung zu verbieten. Den Hauptteil des Buches bilden 22 Text- bzw. Autorenportraits, die in vier - nach ideologischer Ausrichtung der Autoren gegliederte - Abschnitte unterteilt sind. Das Spektrum ist weit gestreut; neben christlichen, liberalen und so genannten "linksliberalen" finden sich auch Protagonisten der "Konservativen Revolution", neben bekannten wie Reinhold Schneider (276-314) und Ernst Wiechert (103-151) auch wenig bekannte wie Gerhard Nebel (547-561) und Hans Gerth (485-494). Den Texten angegliedert ist ein - je nach Quellenlage - mehr oder weniger umfangreicher Kommentarteil, der biographische Daten zum Autor, Entstehungsgeschichte bzw. zeitgeschichtlichen Hintergrund der Texte, Selbstaussagen der Autoren zu den Texten sowie deren Rezeption umfasst. Die akribisch recherchierten, unglaublich zahlreichen Quellenzitate veranschaulichen in oft beklemmender Weise die eingeschränkten Handlungsspielräume oppositioneller AutorInnen in der NS-Diktatur. Solcherart gibt die Studie auch Einblick in die NS-Kulturpolitik. Propagandaminister Joseph Goebbels versuchte in der Anfangsphase, arrivierte nicht ns-konforme AutorInnen für den Literaturkanon des Dritten Reiches zu gewinnen. Da das System - zumindest bis zu seiner Konsolidierung ca. 1937/38 - bestrebt war, den Anstrich von Liberalität sowie eine gewisse bildungsbürgerliche Fassade zu vermitteln,11 duldete es Persönlichkeiten wie Ricarda Huch und Ernst Wiechert. Letzterer setzte sich für den verfolgten Pastor Martin Niemöller ein und kam dafür einige Monate in das Konzentrationslager Buchenwald. Obwohl Wiechert ständig von der Gestapo überwacht wurde und Goebbels ihm die Rückführung in das KZ "auf Lebenszeit und mit dem Ziel seiner physischen Vernichtung" androhte (129), erlebten Wiecherts Werke im Nationalsozialismus ungewöhnlich hohe Auflagen. Der Autor, dessen oppositionelle Haltung außer Zweifel steht, profitierte also in finanzieller Hinsicht in hohem Maße von einem Regime, das er bekämpfte. Auch Werner Bergengruen (258-275), Hans Carossa (223-240) und Ernst Jünger (315-393) zogen aus den hohen Auflagen ihrer Werke finanzielle Vorteile. Daneben finden sich mit Fritz (Percyval) Reck-Malleczewen [d. i. Friedrich Reck] (527-546) und Albrecht Haushofer (59-102) Autoren, die ihr oppositionelles Engagement mit dem Leben bezahlten. Reck verstarb 1945 im Konzentrationslager Dachau, Haushofer wurde 1945 von der SS ermordet. Sie können wohl schon allein aufgrund ihrer persönlichen Lebenstragödien nur bedingt mit einem Autor wie Hans Carossa, der sich 1941 - zwar widerstrebend, aber doch - zum Präsidenten der nationalsozialistischen Europäischen Schriftstellervereinigung ernennen ließ, gleichgestellt werden. Hier zeigen sich Widersprüchlichkeiten und Grenzen Innerer Emigration bzw. Verdeckter Schreibweise. Problematisch und praktisch unauflösbar bleibt aber, dass die AutorInnen "eine distanzierte Haltung gegenüber dem NS-Regime eingenommen haben und doch in widerspruchsvoller Weise auf den Nationalsozialismus fixiert geblieben sind".12

Keine Berücksichtigung in der Studie finden österreichische SchriftstellerInnen. Obgleich die Voraussetzungen für Innere Emigration in der "Ostmark" zum Teil andere waren als jene im so genannten "Altreich", gab es auch hierzulande Personen, die mittels Verdeckter Schreibweise in ihren Texten eine oppositionelle Haltung zu transportieren versuchten.13 Als Beispiel sei Erika Mitterers Roman ´Der Fürst der Welt` genannt, der 1941 sogar Aufnahme in eine NS-Empfehlungsliste fand. In weiterer Folge erkannten die Zensurinstanzen jedoch die wahre Intention des Buches, woraufhin es vom Markt verschwand und nicht mehr aufgelegt wurde.

Mit der Erwähnung einer Autorin ist das zweite Desiderat der Studie angesprochen: Der aufgenommene Personenkreis rekrutiert sich ausschließlich aus männlichen Vertretern des Genres. Das ist insofern bedauerlich, als auch Autorinnen und Journalistinnen ihren Beitrag zum "anderen Deutschland" bzw. zum "anderen Österreich" geleistet haben. Verwiesen sei auf oben erwähnte Ricarda Huch, die mit ihrem Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste sowie mit ihrer Stellungnahme gegen das NS-Rassenprogramm eindeutig Position bezog.

Alles in allem ist Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund ein mit erheblichem Rechercheaufwand erstelltes, für weiterführende Forschungsarbeiten zum Komplex Innere Emigration/Verdeckte Schreibweise unverzichtbares Grundlagenwerk gelungen, das über weite Strecken Werner Bergengruens Diktum einer "unterirdische[n] Literaturgeschichte des Dritten Reiches" (15) erfüllt.


Anmerkungen

1 HEIDRUN EHRKE-ROTERMUND, Camoufliertes Malen im "Dritten Reich". Otto Dix zwischen Widerstand und Innerer Emigration, in: Aspekte der künstlerischen inneren Emigration 1933-1945, hrsg. im Auftrag der Gesellschaft für Exilforschung von CLAUS-DIETER KROHN, ERWIN ROTERMUND, LUTZ WINCKLER und WULF KOEPKE (= Exilforschung 12), München 1994, S. 126-155. - DIES., Pragmatisch-zeitgeschichtliche Aspekte der "Verdeckten Schreibweise", in: Literatur der ´Inneren Emigration` aus Österreich, hrsg. von JOHANN HOLZNER und KARL MÜLLER (= Zwischenwelt 6), Wien 1998, S. 39-45. - ERWIN ROTERMUND, Artistik und Engagement. Aufsätze zur deutschen Literatur, Würzburg 1994. - DERS., Vorüberlegungen zur Poetik, Rhetorik und Hermeneutik der "Verdeckten Schreibweise" im ´Dritten Reich`, in: HOLZNER/MÜLLER (Hrsgg.), Literatur der ´Inneren Emigration` aus Österreich, S. 27-38. - HEIDRUN EHRKE-ROTERMUND und ERWIN ROTERMUND, Literatur im "Dritten Reich", in: Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. III/1, 1918-1945, hrsg. von VIKTOR ZMEGAC, 2. Aufl., Weinheim 1994, S. 318-384. [Auswahl.]
2 GISELA BERGLUND, Einige Anmerkungen zum Begriff der "Inneren Emigration", in: DIES., Der Kampf um den Leser im Dritten Reich, Worms 1980, S. 213-244.
3 "Es mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos [...] Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an". THOMAS MANN, Warum ich nicht zurückkehre! In: Augsburger Anzeiger vom 12. Oktober 1945. Zitiert nach REINHOLD GRIMM, Innere Emigration als Lebensform, in: Exil und Innere Emigration. Third Wisconsin Workshop, hrsg. von R. G. und JOST HERMAND (= Wissenschaftliche Paperbacks Literaturwissenschaft 17), Frankfurt/M. 1972, S. 31. Die modifizierte Fassung von Grimms Artikel erschien mit dem Titel >Im Dickicht der inneren Emigration<, in: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen - Traditionen - Wirkungen, hrsg. von HORST DENKLER und KARL PRÜMM, Stuttgart 1976, S. 406-426.
4 Die große Kontroverse. Ein Briefwechsel um Deutschland, hrsg. von J[OHANNES] F[RANZ] G[OTTLIEB] GROSSER, Hamburg 1963, S. 31.
5 FRANK THIESS, Die innere Emigration, in: Münchner Zeitung vom 13. August 1945. Vgl. auch GROSSER (Hrsg.), Die große Kontroverse (zit. Anm. 4), S. 22-25.
6 WALTER A[RTHUR] BERENDSOHN, Innere Emigration. 1971, S. 4. [Hektographierte Stellungnahme.] Zitiert nach GRIMM, Innere Emigration als Lebensform (zit. Anm. 3), S. 1.
7 Zur Begriffsbildung vgl. u. a. GRIMM, Innere Emigration als Lebensform (zit. Anm. 3) und RALF SCHNELL, Literarische Innere Emigration 1933-1945, Stuttgart 1976.
8 UWE BAUR, Einleitung, in: Macht Literatur Krieg. Aspekte österreichischer Literatur im Nationalsozialismus, hrsg. von UWE BAUR, KARIN GRADWOHL-SCHLACHER und SABINE RUPP (= Fazit 2), Wien 1998, S. 12.
9 Eine umfangreiche ´Auswahlbibliographie Innere Emigration` bietet MICHAEL PHILIPP in: ROTERMUND/WINCKLER/KOEPKE (Hrsgg.), Aspekte der künstlerischen Inneren Emigration 1933-1945 (zit. Anm. 1), S. 201-216.
10 N. N., Vorwort. Ebenda, S. 7.
11 Zu den vorhandenen Freiräumen vgl. HANS DIETER SCHÄFER, Das gespaltene Bewußtsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945 ( = Ullstein-Buch 34178), Frankfurt/M., Berlin, Wien 1984.
12 RALF SCHNELL, Innere Emigration, in: Literaturlexikon. Begriffe, Realien, Methoden, hrsg. von VOLKER MEID, Bd. 13, Gütersloh und München 1992, S. 438.
13 Vgl. KARIN GRADWOHL-SCHLACHER, Innere Emigration in der "Ostmark"? Versuch einer Standortbestimmung, in: HOLZNER/MÜLLER (Hrsgg.), Literatur der ´Inneren Emigration` (zit. Anm. 1), S. 73-87).

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Walter Delabar: Heidrun Ehrke-Rotermund, Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München: Fink 1999. 626 S., in: Jahrbuch für Internationale Germanistik XXXIII, 2001, H. 1, S. 224-229. [Auszug]

[...]
Auffallend ist, daß die Forschung zur Inneren Emigration bis heute eine durchaus überschaubare Zahl von Dokumentsammlungen und Studien hervorgebracht hat. Zudem sind die literarischen Verfahren, die von den Autoren der Inneren Emigration verwendet worden sind, zugunsten biographisch orientierter Studien und ideologischer Positionsbestimmungen vernachlässigt worden. In diesem Zusammenhang erhält die von Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund veröffentlichte kommentierte Sammlung von Texten der Inneren Emigration ihre
Bedeutung.

Das Autorengespann wählt für die Präsentation der Texte ein leistungsfähiges Verfahren. Neben die Texte werden ausführliche Kommentare gestellt, die ihre Einordnung ermöglichen und eine Interpretation vorbereiten. Die Kommentare folgen einem gleichbleibenden Muster: Biographie, Entstehungszusammenhang und zeitgeschichtlicher Hintergrund, Selbstaussagen und Rezeption. Dafür haben Ehrke-Rotermund und Rotermund eine beeindruckende Zahl von Quellen konsultiert und ausgewertet. Die Auswertung der Rezeption von Ernst Jüngers Auf den Marmorklippen (1939) im Dritten Reich beispielsweise fördert bemerkenswert reichhaltige Resultate zutage (S. 353-393).

Die Texte selbst sind thematisch unter vier Themen geordnet: l. Verteidigung des Rechts gegen die Gewalt, 2. Berufung auf die Heilsgeschichte oder eine übergreifende Naturordnung (als Widerspruch gegen die geforderte absolute Gefolgschaft der Nazis), 3. das Plädoyer für den kritischen, selbständigen Geist, die Reflexion (auch das ein Widerspruch gegen die Gehorsamspflicht gegenüber dem NS-Regime) und 4. die satirische Entlarvung des Regimes. Vorangestellt sind eine knapp gehaltene „Einführung in die Poetik, Rhetorik und Hermeneutik der ´verdeckten Schreibweise`“ und zwei exemplarische Analysen.

Die einleitende Analyse, 1998 in erster Fassung gedruckt,2 beschreibt die literarischen Verfahren, die es Autoren erlaubt, in ihre Texte ihre Opposition oder Distanz zum Dritten Reich einfließen zu lassen. Ehrke-Rotermund/Rotermund rekurrieren dabei auf vier Änderungskategorien der Rhetorik: adiectio (Hinzufügung), detractio (Wegnahme), transmutatio (Umstellung) und immutatio (Ersatz) (S. 16f.). Mit diesen Verfahren werde ein angenommener offen oppositioneller Text soweit verändert, daß seine eindeutige Lektüre nicht mehr möglich sei. Hinzu kommen Techniken wie grobe Regelverletzungen und vorgebliche literarische Mängel, die als Störer bei der Lektüre fungieren und den „eigentlich gemeinten“ Inhalt transportieren könnten. An den exemplarischen Analysen, für die die Autoren Rudolf Pechels Aufsatz „Sibirien“ (S. 25-39) und Herbert Küsels Dietrich Eckart-Artikel von 1943 (S. 40-55) heranziehen, zeigen sie die Verfahren und Grenzen, die die Inneren Emigranten nicht überschreiten durften. Deutlich wird beim weiteren Durchgang nicht zuletzt aber, wie unterschiedlich weit die Autoren hierbei gingen und gehen konnten. Vergleichsweise offene aber wenig verbreitete Kritik wie in Gottfried Benns Gedicht „Monolog“ von 1943 steht neben eher allgemein gehaltenen erzählerischen Reflexionen über das Verhältnis von Macht und Recht, die aber, wie Ernst Wiecherts „Das einfache Leben“, hohe Auflagen erlebten. Alle Texte sollen aber, so wenigstens die implizite Gemeinsamkeit, als Texte der Inneren Emigration und damit für ein bestimmtes Publikum lesbar gewesen sein. Wie aber ist es den intendierten Lesern gelungen, die Verstellung der verdeckten Schreibweise zu umgehen und zum ´tatsächlich Gemeinten` vorzustoßen? Eine mögliche Antwort bleibt im Band weitgehend ausgeblendet, zumal die deutliche Problematisierung dieser Frage hier fehlt, die noch in der Fassung von 1998 gestanden hatte, damals Erwin Rotermund zugeschrieben:
„Die hermeneutische Sensibilisierung der kritischen Leser im Dritten Reich, auf die öfter hingewiesen wird, war nur eine notwendige Voraussetzung, keineswegs eine Garantie für die Entschlüsselung geheimer kritischer Mitteilungen“.3 Dasselbe gilt für die andere Frage, wieso die NS-Zensur solche Techniken nicht gekannt und die Texte verstanden haben sollte. Mangelnde akademische oder geisteswissenschaftliche Bildung wird als Grund dafür kaum herangezogen werden können. Auch in dieser Frage reichte die Veröffentlichung von 1998 weiter, enthielt sie doch Heidrun Ehrke-Rotermunds Koreferat,4 in dem sie die unterschiedlichen Rezeptionsformen zu beschreiben versuchte. Sie hatte dort eindringlich darauf hingewiesen, daß auch Texte der Inneren Emigration vor einer nationalsozialistischen Rezeption nicht gefeit waren, die von einer Uminterpretation im Sinne des NS-Regimes bis hin zur Entlarvung führen konnte.

Die Texte decken ein relativ breites Spektrum der Inneren Emigration ab. Gedichte stehen neben Romanauszügen, Zeitungsartikel neben Erzählungen, kunsthistorische Abhandlungen neben dramatischen oder kabarettistischen Szenen. Unterschiedliche Ebenen der literarischen Reflexion werden auf diese Weise integriert. Allerdings ist das politische und literarische Spektrum – trotz Werner Krauss und Adam Kuckhoff – relativ eng. Meist sind es politisch und literarisch konservative Autoren, die die beiden Herausgeber hier vorstellen (die „ideologischen Parallelen“ sind meines Erachtens – und gegen die Autoren – nur selten als „bewußte Anpassungsakte“ zu verstehen, die „notwendige Bedingung für oppositionelles oder auch nur abweichlerisches
Schreiben“ waren (S 10)). Kein Wunder angesichts der Restriktionen des NS-Regimes gegenüber den linken und modernen Autoren, die in ihren
Publikationsmöglichkeiten beschnitten oder selbst verfolgt oder vertrieben wurden. Selbst die politische Parteinahme schützte davor nicht, wie Gottfried Benn erfahren hat, der 1933 zwar die Vertreibung der linken Autoren aus der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste mitbetrieb, im Laufe des Jahres 1933 jedoch Anfeindungen ausgesetzt war und sich schließlich 1935 in die Armee zurückzog, eine spezifische Form der Inneren Emigration. Nun ließe sich das durchaus plausibel damit erklären, daß es innerhalb des Nationalsozialismus außerordentlich heftige Auseinandersetzungen um zulässige künstlerische oder weltanschauliche Positionen gab (die im engeren Sinn politischen Gegner waren zu diesem Zeitpunkt schon vertrieben oder unterdrückt). Aber im Falle Benns tritt noch ein weiteres zutage, nämlich die Kontinuität der grundsätzlichen Haltung des Autors über die Abkehr vom Nationalsozialismus hinaus. Benns Gedicht „Monolog“ aus dem 1943 im Privatdruck erschienenen Band Zweiundzwanzig Gedichte (hier S. 562f.) ist ohne Zweifel ein regimekritischer Text. Benn verabschiedet sich damit aber keineswegs von der Haltung, die ihn 1933 zu einer dezidiert faschistischen Positionierung gebracht hatte. Benn wird also nicht aus gewandelter Überzeugung heraus zum NS-Gegner, sondern behält die Haltung im Grundsatz bei. In den Studien Ehrke-Rotermunds und Rotermunds wird dieses Phänomen immer wieder auch bei anderen Autoren erkennbar: Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, Ernst Wiechert, selbst Karl Barth, Ernst und Friedrich Georg Jünger – die Liste der Inneren Emigranten, die die Weimarer Republik noch unter Beschuß genommen und damit die Entstehung der NS-Herrschaft mitbefördert, zum Teil sogar anfangs aktiv unterstützt haben, ist lang. Die Wertschätzung die eine Reihe der Autoren zurecht genießt, die Originalität der Texte, die hier vorliegen, sollten darüber nicht hinwegtäuschen, daß die Biographien der Autoren nicht immer und durchgängig vorbildlich gewesen sind. Leider verdecken die Kommentare dies, indem sie immer wieder die Selbstzeugnisse der Autoren heranziehen, die nach 1945 publiziert worden sind. Methodisch gesehen geraten die Kommentare deshalb häufig in Sackgassen, wie auch die Beispiele Stefan Andres, Werner Bergengruen und Gerhard Nebel zeigen, die im Nachhinein ihre Gegnerschaft zum NS-Regime stark betont haben. Ohne eine kritische Reflexion sind solche Selbstaussagen jedoch definitiv nicht für eine sachliche Beschreibung einzusetzen. Zumindest sollte für eine solche Reflexion der Dreischritt von Weimarer Republik - Drittes Reich - Bundesrepublik/DDR/Österreich, den viele Autoren machten, und die damit verbundenen intellektuellen Absicherungen berücksichtigt werden.5
[...]


Anmerkungen

2 In: Literatur der ´Inneren Emigration` aus Österreich. Hrsg. im Auftrag der Theodor Kramer Gesellschaft von Johann Holzner und Karl Müller. Wien 1998 (= Zwischenwelt 6). 473 Seiten. Vgl. dazu auch meine Rezension in Jahrbuch für Internationale Germanistik.
3
Erwin Rotermund: Vorüberlegungen zur Poetik, Rhetorik und Hermeneutik der „Verdeckten Schreibweise“ im ´Dritten Reich`. In: Literatur der ´Inneren Emigration` aus Österreich. Hrsg. im Auftrag der Theodor Kramer Gesellschaft von Johann Holzner und Karl Müller. Wien 1998 (= Zwischenwelt 6), S. 27-38, hier S. 31.
4 Heidrun Ehrke-Rotermund: Pragmatisch-zeitgeschichtliche Aspekte der „Verdeckten Schreibweise“. (Koreferat zum Vortrag von Erwin Rotermund). In: Literatur der ´Inneren Emigration` aus Österreich. Hrsg. im Auftrag der Theodor Kramer Gesellschaft von Johann Holzner und Karl Müller. Wien 1998 (= Zwischenwelt 6), S. 39-45.
5 Vgl. für eine Reihe von Philosophen und Theologen: Alexander Schwan: Zeitgenössische Philosophie und Theologie in ihrem Verhältnis zur Weimarer Republik. In: Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute. Kölner Kolloquium der Fritz Thyssen Stiftung Juni 1979. Hrsg. von Karl Dietrich Erdmann und Hagen Schulze. Düsseldorf 1980, S. 259-285. Schwan zeigt deutlich die Ablehnung der Weimarer Republik, aus der erst teils durch die Erfahrung Nationalsozialismus und teils durch dessen Niederlage eine Haltung entstand, die der parlamentarischen Demokratie gegenüber positiv eingestellt war. Die Autoren haben hingegen noch bis weit in die sechziger Jahre hinein Haltungen konserviert, die im Grundsatz mit dem Nationalsozialismus kompatibel waren, von ihnen aber im Gegensatz zu ihm gesetzt wurden. Kernthemen sind hier die Position des Autors in der Gesellschaft, die Funktion von
Literatur, die Haltung zur Massengesellschaft und zu den verschiedenen Regierungssystemen.

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Hans Otto Horch: Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund, Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im "Dritten Reich". München: Fink, 1999, flex., 626 S., in: Aschkenas 11, 2001, H. 1, S. 310f.

Es geht in diesem voluminösen Band um die ´verdeckte Schreibweise` (den Begriff prägte Dolf Sternberger) von Autoren im Dritten Reich, die ihre (menschliche, politische, religiöse, ästhetische) Distanz zum nationalsozialistischen Regime unter den herrschenden Zensurbedingungen nur auf diese Weise an ihr Publikum bringen konnten. Bis heute gibt es in der Literaturwissenschaft eine Kontroverse darüber, wie die Literatur der ´Inneren Emigration` moralisch und ästhetisch zu beurteilen sei; eine „systematische und historisch-chronologische Aufarbeitung der poetischen und politischen Camouflage" (S. 11), so die Hoffnung der Verf., könne möglicherweise eine Neubewertung dieses umstrittenen Bereichs ermöglichen, zumindest aber die Diskussion wesentlich erweitern und vertiefen. Das Phänomen der ´verdeckten Schreibweise` ist auch aus anderen Perioden der politischen Repression bekannt – als ironische, persiflierende Schreibart ist sie nicht zuletzt von Heine als Mittel eingesetzt worden, um die Zensur hinters Licht zu führen. Im Dritten Reich allerdings bot das Verfahren die einzige Möglichkeit, um dem nicht ideologisch fixierten Publikum ein Lesen zwischen den Zeilen und damit eine Art Verständigung jenseits der Machtapparate zu ermöglichen.

In der Einführung (S. 16-24) werden Ansätze zu einer Theorie der ´verdeckten Schreibweise` entwickelt, wobei poetologisch-rhetorische wie hermeneutische Grundfragen erörtert werden. In zwei exemplarischen Analysen (von Rudolf Pechels 1937 veröffentlichtem Aufsatz „Sibirien" und Herbert Küsels Artikel über Dietrich Eckart aus dem Jahr 1943) wird dann die Stimmigkeit des Analyseinstrumentariums erprobt. Der Hauptteil des Bandes bietet eine Textsammlung mit ausführlichen Erläuterungen, wobei darauf geachtet wurde, daß neben bekannten Schriftstellern wie Wiechert, Penzoldt, Sternberger, Carossa, Bergengruen, Reinhold Schneider, Ernst und Friedrich Georg Jünger, Kasack, Andres, Werner Finck oder Benn auch unbekanntere Autoren zur Geltung kommen: „[...] neben christlichen Dichtern beider Konfessionen stehen liberale und ´linksbürgerliche` Autoren, aber auch solche, die – zumeist von den verschiedenen Richtungen der ´Konservativen Revolution` her kommend – am herrschenden Regime positive, auf Mäßigung zielende Teilkritik geübt haben. Zugleich wird versucht, die große Bandbreite formaler und stilistischer Möglichkeiten der ´Verdeckten Schreibweise` zu dokumentieren: die spezifischen Techniken der Camouflage realisierten sich in einem Spektrum von Textarten, das von den traditionellen epischen, lyrischen und dramatischen Gattungen bis zu den Prosazweckformen Predigt und Essay reicht." (S. 12) Die vier Kapitel gliedern das Material nach den Gesichtspunkten „Gewalt geht vor Recht" – Verteidigung von Gerechtigkeit, Maß und Humanität (I), „Widerstehen allein durch reine Geistesmacht" – Berufung auf Heilsgeschichte und übergreifende Naturordnung (II), „Die Pflicht zum Denken" – Plädoyer für kritische Kunst und Reflexion (III), „Histrionengeschmeiß spreizt sich auf hohem Kothurn" – Satirische Entlarvung des Regimes (IV). Auf den (ggf., gekürzten) Abdruck des Textes folgt ein erläuternder Kommentar, dessen Hauptgesichtspunkte sich auf die biographische Situation der Autoren, die Entstehung und Publikation der Texte, die Selbstaussagen der Autoren vor wie nach 1945 und schließlich die Rezeptionsgeschichte der Texte in Gestalt von Rezensionen, Gutachten, Briefen, Tagebüchern und Autobiographien beziehen. Inwieweit die in Frage stehenden Texte – entsprechend den Behauptungen der beiden Lager der Forschung – ´herrschaftsbegrenzend` (M. Broszat) oder im Gegenteil systemstabilisierend gewirkt haben, ist empirisch schwer einzuschätzen. „Materialien und Vorarbeiten" jedenfalls zur Entscheidung nicht nur dieser Streitfrage – dies der allzu bescheidene Anspruch – haben die Verf. zweifellos geliefert, mehr noch: einen wichtigen Beitrag zur „unterirdischen Literaturgeschichte des Dritten Reiches", wie sie sich 1947 Werner Bergengruen erhofft hat.

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Lutz Winckler: Rekonstruktionen der zeitgenössischen Wahrnehmung. Texte und Kommentare zur nichtfaschistischen Literatur im Dritten Reich, in: literaturkritik.de, Nr. 2, 3. Jg. (Februar 2001) [Auch in der Druckfassung der Internet-Zeitschrift literaturkritik.de, Marburg a.d. Lahn 2000 (ISSN 1437-9309), S. 66f.]

Die innerdeutsche nichtfaschistische Literatur sah sich lange Zeit dem Vergleich mit der deutschen Exilliteratur ausgesetzt. Wie wenig sie dem selbstgewollten Anspruch einer "inneren Emigration" entsprach, haben zuletzt die Untersuchungen von Ralf Schnell (1998) gezeigt. Der unmögliche Vergleich führte die Forschung zugleich in einen Engpass, aus dem die Autoren des vorliegenden Werks die Literatur, ihre Leser und Erforscher hinausführen möchten. Der Titel "Zwischenreiche und Gegenwelten" verzichtet auf die legitimatorische Formel von der "inneren Emigration" und setzt, im Anschluss an Benjamins Wort von der "Zweideutigkeit", auf die Darstellung der Widersprüchlichkeit der in Deutschland veröffentlichten Texte, auf die Brüche in der Biografie der Autoren, ihre Nähe und Distanz zum Nationalsozialismus. Sie waren, wie Ernst Jünger und Gottfried Benn, seine intellektuellen Helfer, die später mit ihm brachen, sich zurückzogen oder sich, wie Ernst Wiechert, Reinhold Schneider, Fritz Reck-Malleczewen, dem Widerstand anschlossen. Distanz, Rückzug und Verfolgung schlossen große Publikumserfolge nicht aus: Die Romane Wiecherts und Ernst Jüngers erzielten noch in den 40er Jahren hohe Auflagen.

Dieser "Zweideutigkeit" versuchen die Autoren in ihren Analysen auf die Spur zu kommen. Sie gehen dabei aus von dem zeitgenössischen Begriff der "verdeckten Schreibweise" und entwickeln ein text- und rezeptionsästhetisches Interpretationsmodell, mit dessen Hilfe sie das oppositionelle Potential der literarischen Kommunikation zu entschlüsseln versuchen. An die Stelle ideologiekritischer Dekonstruktion tritt die Rekonstruktion der Texte innerhalb des zeitgeschichtlichen Erfahrungshorizonts. Die Autoren verfahren dabei methodisch so, dass der Leser in die Interpretation einbezogen ist. Jeder Autor ist mit einem exemplarischen Text vertreten, auf den ein historisch-kritischer Kommentar folgt: Dieser Kommentar enthält Selbstaussagen des Autors zum Text (Tagebücher, Briefwechsel mit Zeitgenossen) sowie eine extensive Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Rezeption in Zeitschriften und Presseorganen, der Reaktionen parteiamtlicher Kontrollorgane, in einigen Fällen auch Berichte von Gestapoagenten. Der kommunikationssoziologische Kommentar flankiert die rhetorische Textanalyse: er bestätigt sie, verweist aber auch auf Widersprüche und Zweideutigkeiten. Die ausgewählten Dokumente umfassen poetische wie essayistische Texte, Reiseliteratur, biografische Skizzen, Kurzprosa, Roman, Drama, Witz und Satire. Neben den exemplarischen Analysen (Rudolf Pechels Aufsatz "Sibirien" [1937], Herbert Küsels "Dietrich Eckart"-Artikel in der "Frankfurter Zeitung" [1943]) sind die vorzüglichen rezeptionsgeschichtlichen Kommentare zu Ernst Jüngers "Marmorklippen", zu Reinhold Schneiders Novelle "Las Casas vor Karl V.", Gerhard Nebels Essay "Auf dem Fliegerhorst" (1941) zu nennen. Ein für die Rhetorik der "verdeckten Schreibweise" zentraler Text, Dolf Sternbergers "Figuren der Fabel" (1941), wird dem Leser zugänglich gemacht. Erstaunliche Entdeckungen sind zu machen: so Carl Linferts Essay über Max Beckmann (1935), Hans Gerths verdeckte Hommage an Sigmund Freud (1936), Werner Fincks Satire "Das Fragment vom Schneider" (1935) - und nicht zu vergessen: der Auszug aus dem von Werner Krauss im Gefängnis geschriebenen großen satirischen Roman "PLN. Die Passionen der halykonischen Seele".

Es ist ein sehr gelehrtes und zugleich leserfreundliches Buch, mit dem die Autoren eine Bilanz langjähriger Forschungen und Studien vorlegen. Auch wenn man ihnen nicht in allen Einzelheiten des Kommentars wird folgen können (so erscheint das Vertrauen in die nach 1945 erschienenen autobiografischen Kommentare Beteiligter bisweilen allzu ungebrochen), so ist der methodische Neuansatz überzeugend. Mit ihrem bedeutenden Buch haben die Autoren für die Literaturwissenschaft nachvollzogen, was die Historiografie zur politischen Widerstandsforschung bereits geleistet hat: den Nachweis von Zwischenreichen und Gegenwelten, die gleich weit entfernt sind vom Antifaschismus des Exils und vom innerdeutschen Faschismus.

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Lutz Winckler: Heidrun Ehrke-Rotermund/Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur "Verdeckten Schreibweise" im ´Dritten Reich`. W. Fink Verlag, München 1999, in: Études Germaniques 56, Juillet-Septembre 2001, Nr. 3, S. 409-411.

La littérature non nazie de l'intérieur de l'Allemagne s'est pendant longtemps vue exposée à faire l'objet d'une comparaison avec la littérature allemande d'exil. A quel point elle correspondait peu à sa propre prétention d'être une littérature de l'« émigration intérieure », les travaux de Ralf Schnell, et notamment Dichtung in finsteren Zeiten (Reinbek bei Hamburg 1998) l'ont montré tout récemment. Dans le même temps, cette impossible comparaison avait mené la recherche dans une impasse, dont les auteurs du présent ouvrage aimeraient la faire sortir ainsi que ses lecteurs. L'ouvrage Zwischenreiche und Gegenwelten renonce donc à l'appellation légitimatrice d'« émigration intérieure », et, s'inspirant de la formule benjaminienne de l'« ambiguïté » (Zweideutigkeit), mise sur le caractère contradictoire des textes publiés en Allemagne, sur les failles que présentent les biographies de leurs auteurs, sur ce qui fait à la fois leur proximité et leur distance par rapport au national-socialisme. Dans leur grande majorité, les auteurs présentés à travers leurs textes et commentés dans cet ouvrage se concevaient comme des écrivains conservateurs ou comme des chrétiens, c'étaient des adversaires de la démocratie et ils ont soutenu à un moment de leur carrière d'écrivain le national-socialisme. S'étant, comme Ernst Jünger ou Gottfried Benn, mis intellectuellement à son service, ils rompirent plus tard avec lui, se retirèrent, ou bien tels Ernst Wiechert, Reinhold Schneider ou Fritz Reck-Malleczewen, rejoignirent la résistance. Leur prise de distance, la position de retrait dans laquelle ils se placèrent et les persécutions dont ils furent l'objet ne les empêchèrent pas de connaître de grands succès d'édition: au début des années 40 encore, les romans de Wiechert et d'Ernst Jünger atteignirent des tirages élevés.

C'est « cette ambiguïté » biographique, esthétique et idéologique à la fois que tentent d'élucider dans leurs analyses les auteurs de l'ouvrage. Pour ce faire, ils partent de la notion contemporaine de « verdeckte Schreibweise » (discours camouflé) pour élaborer un modèle d'interprétation fondé à la fois sur l'esthétique du texte même et sur celle de sa réception, modèle à l'aide duquel ils s'efforcent de mettre à jour le potentiel d'opposition inhérent à la communication littéraire. Au lieu de se livrer, par une critique de l'idéologie qui les sous-tend, à une déconstruction des textes, les auteurs de l'ouvrage en opèrent la reconstruction, en les resituant dans l'horizon d'expérience propre à leur époque. Sur le plan méthodologique, les auteurs procèdent en impliquant le lecteur dans le processus d'interprétation. Chacun des écrivains est représenté par un seul texte, exemplaire, et qui est suivi d'un commentaire à la fois historique et critique: ce commentaire contient des prises de position de l'auteur sur son texte (journaux intimes, correspondance avec des contemporains) ainsi qu'un inventaire extensif des critiques parues à l'époque dans des revues et des journaux, des réactions des organes de contrôle des diverses instances du NSDAP, et comportant en outre, dans quelques cas, des rapports d'agents de la gestapo. Ce commentaire historique et sociologique accompagne l'analyse esthétique des textes, qui est présentée tout au début de l'ouvrage dans ses fondements rhétoriques: il vient la confirmer, tout en renvoyant également à des contradictions et à des ambiguïtés. Les documents choisis par les auteurs sont de nature très différente: ils peuvent être en effet du domaine de la poésie, de l'essai, de la littérature de voyage, de l'esquisse biographique, de la prose brève, du roman, du texte théâtral, de l'histoire drôle et de la satire. Outre des analyses exemplaires, comme l'essai de Rudolf Pechel intitulé Sibirien (1937) et l'article de Herbert Küsel paru sous le titre de « Dietrich Eckart » dans la Frankfurter Zeitung en 1943, il faudrait signaler les excellents commentaires retraçant l'historique de la réception (y compris les critiques françaises d'alors) des Marmorklippen d'Ernst Jünger, de la nouvelle de Reinhold Schneider Las Casas vor Karl V., et de l'essai de Gerhard Nebel Auf dem Fliegerhorst (1941). Un texte central pour la rhétorique du « discours camouflé », le texte de Dolf Stemberger intitulé Figuren der Fabel (1941) est rendu par cet ouvrage accessible au lecteur par la qualité du commentaire proposé. On fera également dans ce livre d'étonnantes découvertes : ainsi en va-t-il de l'essai de Carl Linfert sur Max Beckmann, de l'hommage camouflé rendu par Hans Gerth à Sigmund Freud (1936), du texte satirique de Werner Finck : Das Fragment vom Schneider (1935), sans oublier l'extrait qui est donné du grand roman satirique écrit par Werner Krauss en prison : PLN. Die Passionen der halykonischen Seele. C'est donc par un ouvrage très érudit et qui donne en même temps aux lecteurs plaisir à le lire que ses auteurs présentent un bilan de leurs longues années de recherche. Et même si on ne peut pas toujours les suivre dans tous les détails de leur commentaire (ainsi, la confiance qu'ils font aux commentaires autobiographiques des protagonistes parus en 1945 peut, à certains endroits, sembler par trop entière), l'approche méthodologique nouvelle qu'ils ont choisi est convaincante. Grâce à cet important ouvrage, les auteurs ont accompli à leur tour, dans le domaine de la recherche littéraire, une démonstration qu'avait déjà apportée l'historiographie, en ce qui concerne les recherches sur la résistance politique : celle qu'il y a bien eu des « univers intermédiaires » (des Zwischenwelten) et des Gegenreiche (« contre-espaces »), qui étaient aussi éloignés de l'antifascisme de l'exil que du fascisme à l'intérieur de l'Allemagne.

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Johann Holzner: "Zwischenreiche und Gegenwelten", in: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands 18, Februar 2002, Nr. 4, S. 62.

Die Literatur, von der in diesem umfangreichen Band die Rede ist, ist nach wie vor umstritten und sie wird umstritten bleiben. Unbestreitbar aber ist dieses Buch das beste unter allen Büchern, die über das Thema "Innere Emigration" Auskunft geben: Heidrun und Erwin Rotermund bezeichnen bescheiden ihre Studien als ´Vorstudien`; in Wahrheit haben sie ein Handbuch vorgelegt, das den zahllosen methodisch naiven Arbeiten und Äußerungen zum Thema "Innere Emigration" entgegenhält, was ernsthafte literaturwissenschaftliche Forschung leisten kann. Heidrun und Erwin Rotermund sind weder an Pauschalverteidigungen noch an Pauschalverurteilungen interessiert; also rekonstruieren sie mit größtmöglicher Umsicht, was alles für ein angemessenes Verständnis der von ihnen präsentierten Texte relevant ist: biographische Daten, Angaben zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte der Texte, zu ihrem zeitgeschichtlichen Hintergrund und zu den Rahmenbedingungen der Publikationen, Selbstaussagen der Autoren, Materialien zur Rezeptionsgeschichte. Sie analysieren, sie kommentieren, sie werten auch durchaus die von ihnen vorgestellten Texte, aber sie machen darüber hinaus gleichzeitig deutlich, wo die Texte mehrdeutbar und folglich einsinnige Interpretationen unangebracht sind.

Derartige einsinnige Deutungen und Zuordnungen gibt es ja genug, mehr als genug. Auf der einen Seite apologetische, auf der anderen Seite auch sogenannte kritische (die sich zum Beispiel neuerdings damit begnügen, die Einkommensverhältnisse der Autorinnen und Autoren im Dritten Reich ´aufzudecken`, und allein daraus ihre grobschlächtigen Schlüsse ziehen). Mit diesen Formen der Boulevardisierung des Wissenschaftsbetriebs räumen Heidrun und Erwin Rotermund gründlich auf.

Ihre methodischen Vorüberlegungen zur Poetik, Rhetorik und Hermeneutik der "Verdeckten Schreibweise" müssen hier nicht mehr erörtert werden; diesen Überlegungen liegen die beiden Aufsätze zugrunde, die Heidrun und Erwin Rotermund schon in dem "Zwischenwelt"-Band zur "Literatur der ´Inneren Emigration` aus Österreich" publiziert haben. Auf diese Überlegungen folgen exemplarische Analysen zu Rudolf Pechels Aufsatz "Sibirien" (1937) und zu Herbert Küsels "Dietrich Eckart"-Artikel (1943) sowie Erläuterungen zu (jeweils mitabgedruckten) Texten von Albrecht Haushofer, Ernst Wiechert, Wolfgang Drews, Ernst Penzoldt, Dolf Sternberger, Hans Carossa, Karl Barth, Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, Ernst Jünger, Hermann Kasack (dessen auf den ersten Blick harmlose Erzählung "Das Birkenwäldchen" eine besondere Erwähnung verdiente), Carl Linfert, Joachim Günther, Stefan Andres, Hans Gerth, Adam Kuckhoff, Friedrich Georg Jünger, Werner Finck, Fritz Reck-Malleczewen, Gerhard Nebel, Gottfried Benn und Werner Krauss.

Es sind also nicht nur literarische Texte im engeren Sinn, die Heidrun und Erwin Rotermund hier kommentieren, sondern auch essayistische, philosophische, kunsthistorische, journalistische Arbeiten, darunter auch eine Predigt, auch ein politischer Witz. Die Texte sind, wie Stichproben verraten, vorbildlich sorgfältig wiedergegeben, die Kommentare Muster dieses Genres: Sie alle regen dazu an, die ausgewählten Texte radikal neu zu lesen und die alten Urteile über die "Zwischenreiche und Gegenwelten" in der NS-Ära zu revidieren.

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Erhard Schütz: Sammelrezension, in: Zeitschrift für Germanistik XII, 2002, H. 1, S. 177f. [Auszug]

[...]
Eine Fortsetzung fände sich dann z.B. im von HEIDRUN EHRKE-ROTERMUND und ERWIN ROTERMUND herausgegebenen Band Zwischenreiche und Gegenwelten, auf seine Weise Handbuch und Anthologie zugleich. Hier sind Texte versammelt, die eine geduldige Probe um Probe auf die Behauptung von Sklavensprache und verdeckter Schreibweise im ´Dritten Reich` machen. Ein in jeder Hinsicht anspruchsvolles, aber auch höchst bildsames Unternehmen, weit über den Anlaß hinaus, nämlich eine glänzende Bewährung für die Textinterpretation aus dem Fundus der Rhetorik.

Gemeinhin klagen Autoren vor allem der Presse ja darüber, daß ihnen viel zu wenig Raum zugestanden und obendrein die Texte gekürzt würden. Nach dem ´Dritten Reich` konnte man nicht selten umgekehrt die Klage hören, es sei ihnen unerträglich viel in die Texte hineingeschrieben worden – vor allem, wenn es sich um Nazi-Phrasen oder Durchhalteparolen handelte. Andere wiederum zeigten stolz vor, was sie sich selbst in ihren Text hineingeschrieben hatten – versteckt, verdeckt und doppelbödig. 1947 verteidigte Stefan Andres letztere auf einer Tagung des internationalen PEN als jene, "die Hitler nie die Hand drückten; die ihm nie ihre Feder liehen; die nie klein beigaben, sondern durch die Jahre warteten [ ...], die auch warnten, spotteten, aufwiegelten im gesprochenen und geschriebenen Wort". Die sich gerne unter diese rechneten, fanden nach 1945 schnell Gehör und beachtlichen Einfluß. Aus christlicher Bindung, aus humanistisch-innerlichem Bildungsideal gespeist, getragen von aristokratischer Pöbelverachtung, dazu nationalrevolutionäre Konkurrenten des NS, Enttäuschte als Warner vorm bürokratischen oder technischen Zeitalter – sie alle bezeugten, wie sie, tatsächlich oder eingebildet von Sanktionen getroffen, allesamt dagegen waren: Eben die nun schon mehrfach angeführten Wiechert, Carossa, Bergengruen, Schneider, Jünger oder Benn, aber auch Leute wie Joachim Günther oder Werner Finck. Von Lehrern und öffentlichen Vorkostern, die freilich meist weniger kritisch oder mutig gewesen waren, wurden sie in der Bundesrepublik einer jungen Generation zum Vorbild empfohlen, die sie einzig schon aus diesem Grund abwehrte. Die wachere Jugend spürte das Apologetische und erneut Opportunistische, die wohlfeile Ausrede darin. Nachhaltiger noch gerieten diese Autoren aber in Vergessenheit, weil sie in einer Zeit moderater und dann forcierter Modernisierung bald so gar nichts mehr zu sagen hatten, nicht einmal mehr verstanden wurden.

Liest man nun die Texte von damals – in 24 Modellbeispielen hier wieder zugänglich gemacht und mustergültig kommentiert –, sieht man einen eigentümlichen Zwiespalt: Einerseits scheinen ihre so grundlegend formulierten Bedenken gegen schamlos über Recht triumphierende Macht, gegen die Vergessenheit traditionaler Werte, gegen hemmungslosen Populismus und gratis verteilte Unkultur sehr gut zum breiten Konsens des Unbehagens an einer Modernisierung ins Minderwertige zu passen. Andererseits wirkt oftmals ihre sorgsam ins Allgemeine, bedächtig ins Unverbindliche formulierte, umständlich umkreisende, über Ferngelegenes fabelnde, unverständliche Andeutungsrede auf den ersten Blick so befremdlich und unzugänglich wie nie. (Überdies könnte man zur Frage nach dem widerständigen und subversiven Schreiben seit 1989 an aktuellerem und pointierterem Material diskutieren.)

Es geht hier wie auch sonst mit ´Zwischenreichen` und ´Gegenwelten` – es steht alles dagegen, leicht hineinzukommen. Ist man aber erst einmal drin, dann tun sich unablässig neue Räume, Abgründe oder tote Winkel auf.

1940 hatte die nationalsozialistische Zensur ein "literarisches Zwischenreich" von Leuten ausgemacht, die angeblich darauf spekulierten, daß der Leser nicht merke, mit wem er es zu tun habe. Tatsächlich aber waren es eher solche, die alles unternahmen, daß der Leser merke, mit wem und was sie nichts zu tun haben wollten, "erwählte Völker Narren eines Clown`s" – so Gottfried Benn. Gespreizter Georg Friedrich Jünger: "Histrionengeschmeiß spreizt sich auf hohem Kothurn". Und immer wieder historische Figuren vom Großinquisitor bis zum Widertäufer Bockelson als Deckfiguren des wahngetriebenen Diktators. Die herrschenden Paranoiker waren mißtrauisch noch und noch gegen die "hinterhältigen Methoden der Verdrehung und Erschleichung" (Ernst Krieck). So entstand ein bitterernstes, aber doch auch Glasperlenspiel des Versteckens und Andeutens, Rückkoppelungen und Endlosschleifen der Verschwörung gegen Verschwörer. Wurde, was man andeutend schrieb, nicht verstanden, war es müßig, wurde es von den Gemeinten verstanden, folgte daraus kaum mehr als Konfirmierung der Gemeinsamkeit, wurde es aber vom Zensor verstanden, brachte es Verfolgung. Wenn man Ernst Wiecherts Äußerungen oder Ernst Jüngers Marmorklippen im Ausland als Widerstandstexte kommentierte, drohte den Autoren höchste Gefahr. Wenn Adam Kuckhoff seine antimilitaristische Botschaft in eine deutsch-französische Historie aus dem Ersten Weltkrieg verpackte, dann konnte ihm offiziöses Lob widerfahren, geschah das doch zu einer Zeit, als man höheren Orts den "deutsch-französischen Verständigungsroman" propagierte. Dolf Sternberger erläutert 1941 die Figuren der Fabel und gab damit u.a. ein subtiles Lehr-Programm, wie doppelbödig und gegen den Strich zu lesen sei. So ließ sich aber fast jeder beliebige Text lesen. Wenn Carl Linfert Anfang 1945 unter dem Titel Fremdkörper einschlägige Aussagen prominenter ´Juden` zusammenstellte, dann war die Intention allenfalls durch den guten Ruf seines Namens unmißverständlich. Wollte man aber unbedingt gegen den Strich lesen, konnte schon die Tatsache, in feuilletonistischen Impressionen über die Stadt der Reichsparteitage das von den Nazis ungern erwähnte mittelalterliche Foltergerät der ´Eisernen Jungfrau` zu erwähnen, als Akt der Distanzierung verstanden werden. Mit welchem Ziel, mit welcher Wirkung allerdings?

Das Spektrum das Bandes, der dazu je verschiedene Antworten weiß, ist weit genug: Eine Erzählung Hermann Kasacks, einzig geschrieben, um dem einsitzenden Peter Suhrkamp Trost und Information zukommen zu lassen. Ein intellektueller Eiertanz Hans Gerths, um zu Freuds 80. Geburtstag eine Würdigung zu bringen, in dem der Name des Jubilars nicht einmal vorkommen durfte. Albrecht Haushofers ernsthaft als ´Fürstenerziehung` gemeinte Römer-Dramen, aber auch Gerhard Nebels bitterböse, direkte Kritik am Fliegerkult der Nazis und am Nihilismus des Termitenstaates. Folge: Die Neue Rundschau kam darüber 1941 in ihre schwerste Krise, der Autor wurde lediglich von Paris auf die Kanalinseln versetzt. Als Herbert Küsel, gestützt auf Zitate aus NS-Hagiographien, Dietrich Eckart, den ´Seher der Bewegung` als Süchtigen, Versager und bohemistischen Wirrkopf vorführte, der Reklameverse auf der Toilette schrieb, nahm man das 1943 zum Anlaß, die Frankfurter Zeitung zu verbieten. Meist aber geschah gar nichts. Weder seitens der Nazis noch seitens ihrer Verächter im Publikum.

So bietet das vorliegende Buch wenig Trost hinsichtlich des "Widerstehens durch reine Geistesmacht" (E. Jünger). Man wird hier nicht einmal jederzeit den Trost finden, Feindschaft schärfe den Verstand und Zensur den Stil. Indes findet man eine Reihe Texte und Viten, an denen manchmal weniger der Mut imponiert als die intellektuellen, ästhetischen und moralischen Verrenkungen empören, zu denen ein Lumpensystem gebildete Menschen zwang. Und noch etwas wird man hier finden, was nicht zu unterschätzen ist: Schreibweisen, Ansichten und Themen die denkbar weit entfernt sind von dem Bild jener Zeit, das uns Video-Clips und Slip-Reklamen im Riefenstahl- und Breker-Look oder die zwar als volkspädagogisch behaupteten, aber tatsächlich Abstumpfung und Überdruß bewirkenden Abgreiferroutinen der einschlägigen TV-Serien präsentieren. Freilich muß man dazu Zeit und Geduld mitbringen. Dann findet man ein Studien- oder eher noch: Exerzitienbuch vor, dessen skrupulöse Sammlung und kommentierende Akribie eine Form höchster Achtung vorm Gegenstand wie vorm Leser ist – nämlich Achtung vor der und Vertrauen in die Eigenständigkeit des Urteils.

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